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Südafrika vor den Wahlen: 15 Jahre ANC-Regierung und kein Wechsel in Sicht

15. April 2009
Von Dr. Antonie Katharina Nord

Von Dr. Antonie Katharina Nord


Desmond Tutu hätte kaum deutlicher sein können. Bei einer Buchvorstellung in Durban Anfang April sagte der Friedensnobelpreisträger, dass er sich nicht auf eine Präsidentschaft unter Jacob Zuma freue und dass Südafrika zurzeit ein schlecher Ort sei. Diese Worte lösten erwartungsgemäß einen Proteststurm innerhalb des regierenden ANC (African National Congress) aus, der allerdings selbst nichts unversucht lässt, um den politischen Gegner verbal herab zu setzen. So wurden Konkurrenten aus der Opposition von ANC-Vertretern öffentlich als Verräter, Schlangen oder Kakerlaken bezeichnet.

Der Tonfall ist scharf in diesem Wahlkampf in Südafrika.  Obwohl das Ergebnis der Wahlen am 22. April kaum in Frage steht  - der ANC wird aller Wahrscheinlichkeit nach mit ca. 60 Prozent der Stimmen wie gewohnt die stärkste Partei werden – steht für viele Südafrikaner sehr viel auf dem Spiel. Es geht um die politische Kultur des Landes, um die Frage, ob Südafrika weiterhin die Rolle der afrikanischen Vorzeigedemokratie spielen wird, die es, trotz einiger "Schönheitsfehler", bisher gespielt hat. Oder, ob sich das Land immer mehr zu einem dominierenden Einparteiensystem entwickeln wird, in dem Korruption und Vetternwirtschaft an der Tagesordnung sind, regierende Partei, Staat und "Big Business" eine undurchschaubare Interessengemeinschaft bilden, und den demokratischen Institutionen nur geringe Handlungs- und  Kontrollmöglichkeiten bleiben.

Noch vor rund einem halben Jahr sah es so aus, als ob die Chancen gestiegen seien, dass Südafrika sich auf dem Weg zu einer konsolidierten Mehrparteiendemokratie befinde. 15 Jahre nach den ersten freien Wahlen war mit der neuen Oppositionspartei COPE (Congress of the People), einer Abspaltung vom ANC, zum ersten Mal eine Partei entstanden, die für relevante Teile der schwarzen Bevölkerungsmehrheit wählbar zu sein schien. Da COPE bis zum Jahresende überraschend schnell neue Mitglieder werben konnte, darunter zahlreiche ehemalige ANC-Schwergewichte, sahen sich letztere plötzlich einer ungewohnten Konkurrenz gegenüber. Der quasi garantierte Wahlsieg, auf den die Partei bis dahin setzten konnte, schien nun nicht mehr sicher zu sein - zumindest nicht in allen Provinzen. Diese Situation gab dem ganzen Land politischen Auftrieb. Einige Oppositionsparteien rechneten sich bessere Chancen aus, weil für viele Wähler, vor allem in den neuen Mittelschichten, eine Abkehr von der großen Partei der Befreiung, der "Broad Church", als die sich der ANC gerne bezeichnet, kein Sakrileg mehr zu sein schien.

Noch immer fiebert die Bevölkerung in diesem Wahlkampf in ungewohnter Weise mit. Deutlich wird dies z.B. an der vergleichsweise großen Zahl registrierter Wähler, vor allem Jungwähler (mit 23,2 Millionen ist die Zahl der registrierten Wähler so hoch wie nie zuvor; die südafrikanische Wahlkommission hat damit ihr Ziel, mindestens 22 Millionen Wähler zu registrieren, mehr als erfüllt). Neben der stärkeren Parteienkonkurrenz mag eine weitere Ursache für dieses große politische Interesse darin liegen, dass der Wahlkampf breiter und offener geführt wird als in der Vergangenheit: so gibt es z.B. zum ersten Mal regelmäßige Fernsehdebatten mit den Kandidaten der verschiedenen Parteien, bei denen das Publikum einbezogen wird.  Bei der Wählerregistrierung und beim Aufruf zum Wählen spielen die Medien eine positive Rolle. Es gibt kaum eine Radiotalkshow, in der nicht dazu aufgerufen wurde, sich für die Wahlen zu registrieren. DJs und Moderatoren appellieren an ihre Hörer von ihrem demokratischen Wahlrecht Gebrauch zu machen.

Bei vielen ist die optimistische politische Aufbruchstimmung jedoch verflogen. Gerade die gebildeten Wählerschichten sind von den politischen Entwicklungen der letzten Wochen enttäuscht. Dazu haben drei Faktoren beigetragen. Erstens, die Einstellung des Verfahrens wegen Korruption, Geldwäsche, Betrugs und Steuerhinterziehung gegen den ANC-Präsidentschaftskandidaten Jacob Zuma. Das hat das ohnehin stark in Mitleidenschaft gezogene Vertrauen vieler Bürger in die Unabhängigkeit staatlicher Institutionen Südafrikas, vor allem der Justiz, weiter erschüttert.  Zweitens: Das Unvermögen von COPE, sich im Wahlkampf programmatisch und personell als eine wirkliche Alternative zum ANC zu präsentieren. Drittens, die Art der politischen Auseinandersetzung im Wahlkampf, bei der es kaum um Inhalte und Lösungsansätze für die brennenden sozialen und politischen Probleme des Landes geht, sondern in der politische Skandale und persönliche Angriffe auf Kandidaten dominieren.


Die Einstellung des Verfahrens gegen Präsidentschaftskandidat  Zuma

Nach einem achtjährigen Ermittlungsverfahren gegen Jacob Zuma verkündete der südafrikanische Generalstaatsanwalt am 6. April 2009, rund zwei Wochen vor den Wahlen, dass er alle Anklagepunkte gegen den Präsidentschaftskandidaten des African National Congress fallen gelassen habe. Als Begründung wurde nicht etwa eine mangelnde Beweislage angegeben, sondern die politische Manipulation des Verfahrens.  Zumas Strategie, die Anklage gegen ihn als politische Verschwörung darzustellen, hinter der vor allem sein ehemaliger politischer Gegner, Ex-Präsident Thabo Mbeki stehe, ist damit aufgegangen. Ausgangspunkt des Verfahrens war ein Rüstungsgeschäft der südafrikanischen Regierung vor 10 Jahren, bei dem Zuma, ebenso wie viele andere hochrangige ANC-Politiker, Schmiergeld kassiert haben soll. Zwischen 1995 und 2005 soll er über seinen Finanzberater Shabir Shaik rund vier Millionen Rand erhalten haben. Shabir Shaik wurde deswegen bereits 2005 zu einer 15-jährigen Haftstrafe verurteilt .
Allerdings scheint es tatsächlich eine politische Einmischung in die Ermittlungen gegen Zuma gegeben zu haben. Die Generalstaatsanwaltschaft (National Prosecuting Authority, NPA) präsentierte der Öffentlichkeit Zitate aus mitgeschnittenen Telefonaten zwischen dem damaligen Chef der NPA und dem Chef der ermittelnden Spezialeinheit, die belegen, dass beide etwa über einen politisch günstigen Zeitpunkt der Anklage gegen Zuma gesprochen haben. So wurde anscheinend erörtert, ob eine Anklage noch vor dem Parteitag des ANC im Dezember 2008 Mbekis Chancen bei den Wahlen zum Parteipräsidenten verbessern würden. Nach Ansicht der heutigen Spitze der NPA ist der Missbrauch des Verfahrens so eindeutig, dass eine weitere Strafverfolgung Zumas „weder wünschenswert noch möglich“ sei.

Für die Opposition und viele Bürger ist diese Begründung jedoch nicht akzeptabel. Danach handelt es sich bei der Frage um den politischen Missbrauch des Verfahrens und der Anklage gegen Zuma um zwei verschiedene Fälle. In der Tat werden die Zahlungen von Shabir Shaik an Zuma von niemandem ernsthaft in Frage gestellt. Die Staatsanwaltschaft hatte im Laufe der Jahre immer wieder betont, dass es genügend Beweise für Gegenleistungen Zumas gebe. So soll er unter anderem zwischen Shaiks Geschäftspartner, der französischen Rüstungsfirma Thomson CSF (heute Thint) und der südafrikanischen Regierung vermittelt haben.

Patricia de Lille, Spitzenkandidatin der kleinen Oppositionspartei "Independent Democrats", verweist auf die fatale öffentliche Wirkung des Zuma-Falles: "By letting these ANC crooks off the hook we are sending entirely the wrong message to our people. Government is saying that there is a way out for those who break the law"(2) .   
Dass die Einstellung des Verfahrens dadurch erreicht wurde, dass Mitschnitte von Telefonaten des staatlichen Geheimdienstes an Zumas Anwälte weitergegeben wurden, ist ein weiterer politischer Skandal. Der südafrikanische Autor Paul Holden schreibt dazu treffend: „Such a situation is scarcely believable: the almost certain future President, with the strong support of the ruling party, attempting to avoid facing charges of corruption and racketeering, and doing so by recourse to intelligence gathered in dubious circumstances”(3).  Neben der Generalstaatsanwaltschaft hat sich also offensichtlich auch der staatliche Geheimdienst in diesem Fall ungesetzmäßig verhalten. Es ist anzunehmen, dass das Ansehen beider Institutionen und das Vertrauen in die Unabhängigkeit der Justiz auf Dauer beschädigt sind.

Soviel Kritik das "Reinwaschen" von Zuma bei Opposition und  Zivilgesellschaft jedoch hervorgerufen hat – die breite Masse der ANC-Anhänger hat diesen Sieg ihres Spitzenkandidaten frenetisch gefeiert. Die Message der ANC-Spitze ist dabei eindeutig: Jacob Zuma war das Opfer einer politischen Verschwörung, an seiner Unschuld habe man nie einen Zweifel gehabt (so ANC-Sprecherin Jessie Duarte in einem Fernsehinterview).


Die Schwäche von COPE

Am 16. Dezember 2008 wurde in Bloemfontein der Congress of the People – COPE – gegründet. Die neue Partei wird von zwei ehemaligen Spitzenpolitikern des ANC aus der Mbeki-Zeit geführt: Mosiuoa Lekota (Parteivorsitzender), ehemaliger Verteidigungsminister Südafrikas und Mbhazima Shilowa (stellvertretender Parteivorsitzender),  ehemaliger Premier der reichsten Provinz des Landes, Gauteng. Beide Politiker hatten sich wenige Monate zuvor vom ANC getrennt. Auslöser für diese Trennung war der seit langem schwelende Machtkampf innerhalb der Partei, der zwischen dem als wirtschaftlich liberal geltenden Mbeki-Lager und dem gewerkschaftsnahen Zuma-Lager ausgetragen wurde. Thabo Mbeki hatte diesen Machtkampf Schritt für Schritt verloren: im Dezember 2007 war er auf dem Parteitag des ANC in Polokwane als Parteivorsitzender abgewählt worden. Im September 2008 kam er dann der Forderung der Parteispitze nach, auch als Staatspräsident zurückzutreten. Dieser erzwungene Rücktritt, nur wenige Monate vor den Wahlen (bei denen Mbeki verfassungsgemäß ohnehin nicht mehr antreten durfte), stellte in den Augen vieler Südafrikaner eine unnötige Demütigung des Präsidenten dar.

Die Gründung von COPE erregte großes Aufsehen im Land. Auch wenn für manchen Kritiker die neue Partei lediglich ein Sammelbecken für Mbeki-Loyalisten darstellt, so weckte sie bei Vielen die Hoffnung auf einen politischen Neubeginn. In Bloemfontein kamen 4.000 Delegierte zum Gründungskongress zusammen: bei der Vorstellung des Wahlprogramms im Januar in Port Elisabeth waren es bereits rund 30.000 Menschen: Anfang Februar hatte die Partei - nach eigenen Angaben - bereits 400.000 Mitglieder. In den anschließenden Wochen wurde in der Presse von zahlreichen Überläufern des ANC zu COPE berichtet, vor allem aus der mittleren und unteren Führungsebene der Partei.

COPE stellt sich als eine Alternative zum ANC dar, als eine "moderne sozialdemokratische Partei", die die Korruption und Vetternwirtschaft innerhalb des ANC anprangert und eine neue politische Kultur fordert. Programmatisch will COPE vor allem die neuen Mittelschichten Südafrikas ansprechen. Nach dem Vakuum, das der entmachtete Mebeki-Flügel im ANC hinterlassen hat, gibt es in der Tat ein potenzielles Wählerklientel in Südafrika für eine Partei der neuen Mittelschicht, die gleichzeitig eine mehrheitlich schwarze Basis hat – anders als die Democratic Alliance (DA), die trotz aller Anstrengungen das Image einer Partei der Interessenvertretung der weißen Minderheit Südafrikas nicht los wird. "Cope serves the needs of a substantial minority, whose socio-economic profile has, in the main, arisen post apartheid. The left leaning ANC of the next government will be less and less appealing to this group of voters...." (4). 

Der überraschend gute Start der neuen Partei kann jedoch nicht über einige ihrer Schwachstellen hinwegtäuschen, die in den letzten Wochen immer deutlicher zum Vorschein kamen. So leidet die Glaubwürdigkeit des Führungsduos Lekota/Shilowa darunter, dass diese die Politik des ANC, die sie heute so vehement kritisieren, jahrelang aktiv mitgetragen und gestaltet haben. Dass COPE sich nicht der Forderung der anderen Oppositionsparteien nach einer unabhängigen Untersuchung des berüchtigten "Arms Deals" angeschlossen hat, des Rüstungsgeschäfts, in das neben Zuma zahlreiche andere ANC-Funktionäre verwickelt waren, hat für viele die Ernsthaftigkeit von COPEs Antikorruptionsagenda in Frage gestellt. Die Partei hat versucht darauf zu reagieren und als Spitzenkandidaten für die Wahlen einen bis dahin weitgehend unbekannten, aber moralisch "einwandfreien"  Priester der Methodistischen Kirche, Mvume Dandala, aufgestellt. Diese Personalentscheidung, nur zwei Monate vor den Wahlen verkündet, kam jedoch zu spät, um Dandala landesweit bekannt zu machen. Zudem wurde die Vorstellung  des neuen Spitzenkandidaten sehr unprofessionell gehandhabt – während das Führungsduo Lekota/Shilowa  am Tag nach der Verkündigung Wahlkampf machte, war der neue Spitzenkandidat für die Presse nicht zu erreichen. Der bekannte Kolumnist Justice Malala kommentiert dazu: „Even a wet-behind-the ears political strategist could have advised Cope that unveiling a new leader – particularly one familiar only to parts of the middle classes and to the Methodist Church faithful, and not to the rest of the country – should have been done with proper fanfare. It should have been a co-ordinated, well thought-out process. The parties actions over the last two weeks have been shambolic and amateurish to say the least” (5) . Auch programmatisch blieb das Profil von COPE eher blass. Anstatt den ANC inhaltlich herauszufordern, z.B. indem Strategien zur Bewältigung der globalen Finanzkrise aufgezeigt werden – ein Thema, das der ANC komplett ausspart – dominieren Personalquerelen die Debatte.

Sicherlich spielt bei der Schwäche von COPE der Zeitfaktor eine wichtige Rolle. In weniger als einem halben Jahr landesweit Parteistrukturen aufzubauen, über Kandidaten zu entscheiden, Wahlkampf zu führen und inhaltlich ein klares Profil zu entwickeln, scheint fast unmöglich zu sein. Wenn es COPE gelingen sollte, über die kommenden Wahlen hinaus zu bestehen, könnte die Partei mittelfristig zur wichtigsten Oppositionspartei des Landes werden.  Möglich ist allerdings auch, dass die Partei sich nach den Wahlen in Flügelkämpfen aufreibt und zahlreiche COPE-Funktionäre in den Schoss des ANC zurückkehren – der ehemalige Wahlkampfmanager von COPE, Mlungisi Hlongwane, hat das bereits getan.


Der Wahlkampf

Der Wahlkampf des ANC ist extrem erfolgreich. ANC-Spitzenpolitiker füllen Fussballstadien, ANC-T-Shirts und Wahlplakate sind allgegenwärtig, und Jacob Zuma ist bei der Mehrheit der schwarzen Bevölkerung sehr beliebt. Die Botschaft der Partei scheint anzukommen, dass sich nur der ANC um die Armen Südafrikas kümmert. Das ist umso erstaunlicher, als dass es gleichzeitig laut Umfragen eine zunehmende Unzufriedenheit mit den Leistungen der ANC-Regierung gibt. Diese Unzufriedenheit bezieht sich z.B. darauf, dass die Einkommensunterschiede zwischen Arm und Reich seit 1994 zu- und nicht abgenommen haben (6). Wegen der schleppenden Leistungen des Staates  - etwa im Bereich sozialer Wohnungsbau – gibt es regelmäßige, z.T. gewaltsame Proteste, und die Aussichten, aus der Armutsfalle Arbeitslosigkeit herauszukommen, sind wegen mangelnder Qualifizierung vieler Südafrikaner gering.

Was sind also die Ursachen für diese breite Mobilisierung, die der Partei gelingt? Ein Grund ist sicherlich die finanziell gute Ausstattung, die ihr einen erheblichen Vorsprung gegenüber den anderen Parteien verschafft. Da die öffentliche Parteienfinanzierung ganz überwiegend von der Sitzverteilung im Parlament abhängt, ist der ANC mit seiner knapp 70 Prozent - Mehrheit hier deutlich im Vorteil. Aber auch private Spenden, die in Südafrika nicht öffentlich deklariert werden müssen,  gehen nach Expertenmeinungen in deutlich größerem Umfang an den ANC als an die kleineren Parteien. So können sich z.B. viele kleine Parteien Wahlwerbung im Radio nicht leisten, im Fernsehen werben nur der ANC und die DA. Ein weiterer Grund liegt darin, dass Jacob Zuma es nach Übernahme der Parteiführung in Polokwane vermocht hat, der unzufriedenen ANC-Basis das Gefühl zu geben, dass sie wieder gehört wird. Diese Basis, die gemeinsam mit dem Gewerkschaftsdachverband COSATU und der kommunistischen Partei (SACP) die Politik des Mbeki-Flügels seit langem kritisiert hatte, verbindet mit Zumas Partei- und Staatsführung eine stärker an direkter Armutsminderung orientierte Politik, etwa durch deutlich erhöhte Ausgaben im sozialen Bereich. Der wichtigere Grund für den erfolgreichen Wahlkampf des ANC liegt jedoch darin, dass er bis heute nicht nur eine Partei ist sondern eine Bewegung. Er kann auf bestens organisierte Strukturen zurückgreifen, vor allem in den armen städtischen Townships, in denen Millionen Südafrikaner leben. Hier ist die Identifikation mit der Partei, die das Land von der Apartheid befreit hat, noch immer enorm groß.

Mobilisierung wird aber auch mit dem Schüren alter Feindbilder und dem sogenannten "negative Campaigning" erreicht. Die Politologin Cherrel Afrika schreibt dazu: "Election campaigns in South Africa are characterized by widepread verbal assaults in which political parties lambaste each other. As the election date draws closer these attacs become more scathing, the messages more negative and the exchanges more aggressive" (7).  

An einigen Orten Südafrikas bleibt es nicht bei einer aggressiven Sprache. Laut dem "Election Monitoring Network", einem Zusammenschluss von mehreren zivilgesellschaftlichen Organisationen, der landesweit Wahlbeobachtung durchführt, sind im Wahlkampf bisher  fünf Menschen umgebracht worden. In KwaZulu-Natal, der Provinz, in der es am häufigsten zu gewaltsamen Zusammenstössen zwischen Parteianhängern kommt, gab es "no-go- areas" für Parteien, die Wahlkampfveranstaltungen in bestimmten Gebieten abhalten wollten. Die Ausschreitungen spielten sich meistens zwischen Anhängern der regionalen Partei Inkhata  Freedom Party (IFP) und Anhängern des ANC ab (8). Landesweit ist es bisher überwiegend bei verbalen Angriffen geblieben. Aber das Gewaltpotenzial im Land muss dennoch ernst genommen werden. Wie schnell eine aggressive Stimmung in gewaltsame Übergriffe umschlagen kann, haben die ausländerfeindlichen Ausschreitungen im Mai 2008 gezeigt, bei denen innerhalb weniger Tage  über 60 Personen ermordet wurden. Auch zeigen Umfragen des Afro Barometers, dass knapp zwei Drittel der befragten Südafrikaner Angst haben, während des Wahlkampfes Opfer von Gewalt oder politischen Einschüchterungsversuchen zu werden. Diese Angst ist unter Anhängern der kleineren Parteien besonders verbreitet (9). Die unabhängige Wahlkommission Südafrikas ist sich des Gewaltpotentials durchaus bewusst und hat eine Reihe von Veranstaltungen abgehalten, bei denen sich Mitglieder aller politischen Parteien öffentlich dazu verpflichtet haben, zu einem gewaltfreien Wahlkampf und friedlichen Wahlen beizutragen.  

Was dennoch zu kurz kommt in diesem Wahlkampf, ist die Auseinandersetzung über Inhalte. Alle Parteien benennen  - mit unterschiedlicher Akzentuierung - die brennenden Probleme des Landes: Arbeitslosigkeit, Armut, HIV/Aids, Kriminalität, fehlender Wohnraum, Gesundheitswesen, Bildungswesen, Zugang zu Wasser und Strom für alle Bürger etc. Aber zu selten wird dies im Wahlkampf thematisiert, wird öffentlich über Auswege gestritten: Wie will Südafrika diese Probleme lösen? Wer hat realistische politische Lösungsansätze (10)? 

Eins ist jedoch sicher: Jacob Zuma wird als neuer Präsident Südafrikas unter einem enormen Erfolgsdruck stehen. Die Erwartungen seiner Anhänger sind groß. Es wird nicht reichen, dass er, der Mann des Volkes, zuhören kann, er und sein Regierungsteam müssen Erfolge vorzeigen können. Vor allem, falls die Provinz Western Cape tatsächlich an die Opposition geht, und eine Koalitionsregierung aus DA, COPE und anderen kleineren Parteien in bestimmten Politikfeldern besser abschneiden sollte, als der Rest des Landes. Dann hätte die Opposition bei den nächsten Wahlen vielleicht eine größere Chance.

 

Dr. Antonie Katharina Nord ist die Büroleiterin des Büros der Heinrich-Böll-Stiftung in Südafrika, Kapstadt

» Weitere Informationen zur Wahl in Südafrika finden Sie in unserem englischen Dossier: South African Elections 2009


(1)   Shabir Sheik befindet sich allerdings inzwischen wieder auf freiem Fuss, offiziell aus gesundheitlichen Gründen. Diese Begründung wurde wegen anderslautender ärztlicher Aussagen in der südafrikanischen Presse jedoch stark angezweifelt. Auch dies ein politischer Skandal, der bei vielen Südafrikanern den Eindruck hinterlassen hat, dass vor dem südafrikanischen Gesetz nicht alle Bürger gleich behandelt werden

(2)   Vgl. http://www.id.org.za/newsroom/press-releases/news_item.2009-04-06.6695784489

(3)   Vgl. Dossier der Heinrich-Böll-Stiftung zu den Wahlen in Südafrika: Holden, Paul: The business of freedom: The arms deal and the deep state, S. 8, April 2009.

(4)   Trapiro, Michael: Is Cope merely anti-Zuma? In: Thought leader, Mail and Guardian online: www.thoughtleader.co.za/traps/2009/24

(5)   Malala, Justice: Priest no salvation for Cope, in: The Times, February 23, 2009

(6)  Die Einkommensunterschiede haben sich nicht nur real vergrössert, sondern auch in der Wahrnehmung der Bevölkerung. So waren laut Umfragen 1998 noch 56 Prozent der Südafrikaner der Meinung , dass die Regierung den Unterschied zwischen Arm und Reich verringere, während es 2008 nur noch 26 Prozent waren. Vgl. PIMS, IDASA: What should we discussing as we head to the polls? März 2009

(7)  Vgl. Cherrel Africa: 2009 Elections: A Litmus Test for South Africa’s Democracy, In: Heinrich Boell Foundation Southern Africa, Elections Dossier 2009, http://www.boell.org.za/

(8)   Kwa Zulu-Natal war in den 80er Jahren und vor den ersten freien Wahlen Südafrikas 1994 eine Hochburg der politischen Gewalt. Bei gewaltsamen Zusammenstössen zwischen IFP und ANC-Anhängern, die häufig von der Apartheidsregierung geschürt wurden, kam es zu vielen tausend Toten.

(9)   Vgl. Ebd.: Die Frage des Afro Barometers lautete: "During election campaigns in this country, how much do you personally fear becoming a victim of political intimidation or violence?".


(10)  In den Wahlprogrammen der Parteien gibt es durchaus unterschiedliche Lösungsansätze für die ökonomischen, sozialen und ökologischen Herausforderungen des Landes. Diese werden jedoch weder von den Medien besonders stark hervorgehoben, noch in den Wahlkampfveranstaltungen der Parteien thematisiert. Vgl. "Der Klimawandel und die Wahlen in Südafrika" Von Jochen Luckscheiter


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